Rock'n'roll will never dead - oder so ähnlich
Roland Schneider: Live at the Sportgaststätte Königsbrunn (CD, Dhyana Records DHY061)
Drugi Disko, CD-Compilation (Dhyana Records DHY060)
Bestellung beider Titel beim Label
Gestern war bei uns in der Straße Pfarrfest. Die Bratwürste waren gut, die musikalische Unterhaltung oblag einem Alleinunterhalter mit halbautomatischer Orgel und einem echten Stimmungslieder-Repertoire. Roland Schneider, der jetzt auf Dhyana Records eine CD mit Ausschnitten aus einem seiner Gigs veröffentlicht, ist auch Alleinunterhalter, aber er spielt akustische Gitarre (was für Alleinunterhalter in den meisten Situationen das falsche Instrument ist, weil es einfach nie den unerlässlichen brutalen Schunkel-Wumms erzeugen kann), und er versucht in seinem Repertoire offenbar Musik, die ihm wichtig ist, einem Publikum nahezubringen, das sich dafür nicht interessiert. Oder anders: Er besteht darauf, dass Musik etwas bedeutet und nicht einfach Ornament ist. Vor Leuten, die die Musik eigentlich nur als Untermalung zu einer Tennis-Siegerehrung brauchen, macht man sich mit einer solchen Haltung leicht zum Idioten, weil die Ansprüche an die musikalische Darbietung tendenziell unvereinbar sein dürften. Interessieren würde einen in diesem Zusammenhang, in wie weit sich der Alleinunterhalter Roland Schneider seiner gewissermaßen subversiven Funktion eigentlich bewusst ist und ob er das Publikum auch bewusst verarscht, wenn es ihm Desinteresse zu spüren gibt. Oder ist der bisweilen seltsam entstellte Gesang nur schlechtem Englisch und fehlendem Textblatt geschuldet? Sei dem, wie es sei, man kann dieser CD wohl das größte (und leider einzige) Kompliment machen, das man einer Alleinunterhalter-CD machen kann (da zeigt sich, dass Roland Schneider mehr als ein AU sein will, denn der "echte" AU lebt ja nur von seiner Livefunktion, der Tonträger ist eher sein Konkurrent): Dieses Set würde man sich auch eine Weile anören, wenn man auf ein Konzert geriete, und nicht nur, wenn man zum Besuch einer Feier in der Sportgaststätte Königsbrunn verknackt wäre. (Wobei wir in Königsbrunn ja schon interessante Entdeckungen machen konnten.) Dort wäre die Songauswahl zwar weniger subversiv und originell, aber immer noch solide gemacht.
Das alles wäre freilich weniger interessant, wenn man nicht aus den Linernotes von Dhyana-Macher Bernd Spring wüsste, dass er Roland Schneider schon aus den gemeinsamen Zeiten als Slayer-Fan in der regionalen Metal-Disse sowie als späteres Mitglied der Grindcore-Gruppe Pathological Institute kennt und dass man an Roland Schneider sozusagen verfolgen kann, wie nachhaltig Musik-Fantum eine ganze Biografie prägen kann. Dass es Leute gibt, für die es bei Musik nicht um Unterhaltung geht, sondern ums Leben. Ob anderen die Musik gefällt, ist dann ja zweitrangig.
Gecovert werden unter anderem die Beatles, Deep Purple, John Denver, die Eagles, die Moody Blues, Pink Floyd, die Scorpions, Simon & Garfunkel, Uriah Heep und Neil Young. Den Abschluss bildet die Eigenkomposition Lost of Light. Die ist das schönste Stück des Albums und deshalb wohl auch ohne den Abend in der Sportgaststätte auf dem aktuellen Dhyana-Labelsampler Drugi Disko erhätlich.
Der verdankt seinen Namen wohl der Tatsache, dass sich darauf gleich drei Beiträge aus dem Umfeld des russischen Produzenten Maxim Belyaev finden. Sehr geschmackvolle Tanzboden-Burner (aber eben nicht nur), das hätte den frühen Pet Shop Boys auch gefallen. Echte Russendisko also, nicht Russen-Indie-Disko aus Berlin. Auch aus Polen ist ein Beitrag dabei (ein minimalistischer, aber extrem spannender Track von Ploom, der nur aus einzelnen Taktschlägen, Kabelbrummen und verschiedenen Hallfiltern komponiert zu ein scheint), auch Dhyana Records orientiert sich offenbar nach Osten. Schön, dass dieser Prozess nicht der EU allein überlassen wird.
Ansonsten besticht die 20 Stücke umfassende Compilation wie immer durch eine hervorragende Mischung aus "Techno", "Ambient" und "Indierock" - jeweils in großen Anführungszeichen, weil sich praktisch alle Beiträge dadurch auszeichnen, dass sie alle Klischees der jeweiligen Genres vermeiden, mit ihren Mitteln hantieren und dadurch die interessanten Grenzbereiche ausloten. Deshalb lassen sie sich wohl auch so zusammenstellen, dass es praktisch keine Brüche zwischen den Stücken gibt, sondern fast alle Anschlüsse sich "organisch" aus den einzelnen Beiträgen ergeben. Ein, zwei geschickt eingebettete Trash-Tracks und elektroakustische Collageschnipsel sowie ein astreines Metalbrett von Certified Insane (auch hier ruft Bernd Spring die Connection in die Vergangenheit auf, aus der bereits Roland Schneider auftauchte, siehe oben). Beispielhaft sind hier vielleicht die Tracks von Westernhero und Interzooming-Race, wo ruhige und doch latent bedrohliche Soundscapes mit ganz unterschiedlichen Mitteln erzeugt werden: Bei Interzooming-Race mit Software, bei Westernhero wohl "nur" mit E-Gitarre und Effektgeräten. Ziemlich geiler und dabei auch lustiger (bei Dhyana Records wird Frank Zappas Gretchenfrage "Does humour belong in music?" wahrscheinlich jeden Morgen mit einem lauten und fröhlichen "Ja!" beantwortet, stelle ich mir vor) Cut-Up-Lo-Fi-Pop kommt übrigens auch von Boozle Bam aus Minneapolis, das schon Hüsker Dü und Prince hervorbrachte - auch das fügt sich sehr gut in die Dhyana-Ästhetik ein, weshalb es nicht verwundert, dass bereits ein Longplayer geplant ist.
Mit von der Partie sind außer den oben genannten: Maxim Belyaev & Inna Musychuk, Taba, Tea Man With Tea Gum, Hinterlandt, Warsaw, Gerald Fiebig/Pille Weibel, Panzerboy666, Pit, Sascha Müller, Trouby, Kaputtniker und Jean Bach mit dem sehr gelungenen Cut-Up-Stück Radio Hamburg Hasstag. Auch sein neues Album hat übrigens eine Menge mit Hass zu tun...