Non-Stop Scheuerpop!

Thorsten Propeller (Foto: Droogi)Busfahrten in die Betonöde gesichtsloser Stadtrandgemeinden, zu verödeten Jugendzentren, die demnächst von der Sommerpause ereilt werden, irgendwo zwischen Multiplexkino und McDonald's; Busfahrten, bei denen dich ein Gefühl von Absurdität beschleicht, weil du sicher zu wissen glaubst, dass alle anderen Menschen im Biergarten oder am Baggersee sind und das hier einfach gar nichts werden kann.
Bisweilen führen solche Busfahrten in die vermeintlichen Herzkranzgefäße der Finsternis zu unerwartet leuchtenden Momenten. Ein solcher Moment war die Release-Party von Thorsten Propellers neuer CD No Name Scheuermilch. Abgesehen davon, dass es schade ist, dass nicht mehr Leute kamen, um das Konzert zu hören und ein Exemplar der ersten Pressung der CD (25 Stück) zu erwerben - was aber letztlich v.a. der Schaden dieser Leute selber ist - , abgesehen davon also bildete das Ambiente einen idealen Rahmen für Thorsten Propellers Musik.
Ohne großes Vorprogramm (Logan Brothers wg. Erkrankung, Unitary wg. Instrumentenschaden), angekündigt von dem GUZ-Song Musik ("geht mir auf den Sack"), spielt Thorsten Propeller fast zwei Stunden lang allein gegen die Leere und die Finsternis an, und es sieht so aus, als sei das seiner Musik letztlich eher gemäß, als wenn eine vor Begeisterung tobende Menge erschienen wäre: "Mach' aus mir das Pop-Produkt / gib' mir Worte, Töne, einen Namen / stell' mich ins Regal zum Ausverkauf [...] so brauch' ich nicht viel darzustellen / trotzdem bin ich jung und wild" - fordert er in einem Song.Der Einladungsflyer zur Release-Party, deren Besetzung sich jedoch ziemlich reduzierte. Nach einem spontanen Eröffnungssong von Jesus Jackson und die grenzlandreiter, die als Besucher anwesend waren, spielte Thorsten Propeller. Vor dem Konzert hat er das Bier kostenlos an die Besucher verteilt mit der Begründung "Das ist eine Release-Party" und beim Verkaufen seiner CDs von der Schwierigkeit gesprochen, dafür den richtigen Preis festzusetzen, weil er doch eigentlich kein Geld damit verdienen wolle. Um das noch nachdrücklicher zu unterstreichen, hat er wohl auch White Man In Hammersmith Palais von The Clash in sein Set aufgenommen, neben Blitzkrieg Bop von den Ramones und Born to Lose von den New York Dolls der dritte Punk-Klassiker im Programm des Abends. Nur, während diese beiden Songs ja vor allem durch ihre pure Energie Punk sind - die in Thorsten Propellers Version voll zur Geltung kam! - , ist der Clash-Song ja so ein richtiges Polit-Punk-Manifest: "You think that's funny / Turning rebellion into money."
Allein die Tatsache, dass jemand sowas heute noch spielt, ist ja erstaunlich. Bei Thorsten Propeller lässt es einen umso mehr aufhorchen, als es in seinen eigenen Songs nicht um Politik geht. Aber um Widerstand geht es trotzdem. Thorsten Propellers Lieder erzählen von dem Unbehagen an den Zusammengehörigkeitsritualen der Peer-Group, zu der man eigentlich lieber nicht gehören möchte ("Ich war beim Festival der Selbstbewußten / doch ich war nur Gast / ich war beim Festival der Selbstbewußten / und ich weiß nicht, ob mir das paßt"), aber auch davon, wie man gegen die eigene Wut ("I want to pogo you out of the room") ankämpft aus dem Wunsch heraus, verstanden zu werden: "Ich bin nicht so verrückt, nur etwas eigen". Kurz: es geht um Widerstand gegen die Fehler einer Gesellschaft, die man im eigenen Leben zu vermeiden sucht. Dass man damit immer wieder scheitert, ist klar. Musik machen ist ein Versuch, (sich) einen Raum zu schaffen, in dem man den Deformationen durch Karrierezwang usw. entgehen könnte, um nicht zu jemandem zu werden, der man gar nicht sein will: "Just play music, this would be a great relief".
Thorsten Propeller (Foto: Droogi)Was an Thorsten Propellers Musik überzeugt, ist, dass sie sich nie in einer larmoyanten Masche verliert, sondern konsequent nach den neuen Wegen sucht, die in dem, was man uns gemeinhin als das wirkliche Leben verkauft, meist schon verbaut sind. Hier erleben wir Hunger auf hohem Niveau (so ein Titel von dem Album Freischwimmer, das Thorsten Propeller mit seinem Logan-Tapes-Labelmate Unitary unter dem Projektnamen Goldfisch eingespielt hat).
Hunger kann man nicht verkaufen, man kann ihn nur teilen. Und daraus kann dann durchaus gegen alle Widrigkeiten eine Party werden, denn wenn man plötzlich die unerwartete Gewissheit spürt, dass man sich noch nicht alle Widersprüche hat abkaufen lassen, ist das schon eine Feier wert. Und eine Busfahrt in der Hitze ist dafür nur ein geringer Preis, denn "dann ist etwas Seltsames geschehen / denn so freundlich und nett hab' ich diese Stadt noch nie gesehen / die ich immerhin seit 24 Jahren kenne / und durch die ich oft vergeblich renne / Sind das alles Touristen hier / oder hab' ich irgendwas nicht mitbekommen? / Ich nehm' einen Schluck von meinem Bier / und hab' endlich wieder Hoffnung gewonnen".

Das musikalische Spektrum der vorgestellten CD No Name Scheuermilch ist deutlich breiter als das des Vorgänger-Albums Ventilator. Thorsten Propeller: Ventilator (CD, 1999) Die Beats sind oft komplexer, die Songs aber durchweg viel tighter eingespielt. Zu den langsamen Liedern gesellen sich einige wunderbare Powerpop-Fetzer (der Begriff "Rock" taucht denn auch gleich in drei Songtiteln auf). Die Arrangements haben durch den wohldosierten Einsatz von Keyboards eine zusätzliche atmosphärische Dimension gewonnen, und mit einigen instrumentalen Tracks stößt Thorsten Propeller sogar definitiv in Electronic-Listening-Gefilde vor. Mit insgesamt 23 Tracks und 63 Minuten Spielzeit platzt das Werk vor Ideen geradezu aus allen Nähten - wollte Thorsten Propeller mit seiner Musik Geld verdienen, hätte er sich die wahrscheinlich für vier CDs aufgehoben. Zu bestellen ist No Name Scheuermilch, wie alle früheren Tonträger von Thorsten Propeller, bei Logan Tapes. Wer bald bestellt, hat übrigens die Chance, zusätzlich ein kostenloses Nonstop Scheuerpop-Tape zu erhalten.

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