Es war eine kalte und stürmische Nacht im Krieg, als ich mir die vier neuen Singles anhörte, mit denen Dhyana Records uns über den Winter zu bringen gedenkt. Wie immer eine gute Mischung, also gewissermaßen Apfel, Nuss und Mandelkern. Und Spekulatius. Und dank des weißen Pulvers, das jetzt überall mit der Post verschickt wird, kann man dieses Jahr ja sogar auf weiße Weihnachten hoffen...
Schon in sich gemischt ist die für meine Begriffe leider in fast allen Teilen etwas uninspiriert geratene 4-fach-Split-Single von Istari Lasterfahrer (Ballerbeats), Slackism (Knistergeräusche), Deep (bewährte Basstexturen, die aber leider durch Hinzufügen von Congas und Didgeridoo mehr verlieren als gewinnen) und Nhlsm (munter rockende Wavepop-Miniaturen mit Samples, das knackigste Stück unter ein paar schwammigen).
Die Einzelreleases lassen sich da eher hören:
Panzerboy666 ist ein Geistesverwandter und gelegentlicher Kollaborateur von Dhyana-Star Jean Bach, der hier kehlkopfstrapazierende Vokalreminiszenzen an sein Vorleben als Deathmetal-Shouter beisteuern darf. Diese und andere fiese Kratzsounds schaben in Panzerboys Tracks an durchaus melodisch wohlgefälligen, unterkühlten Tracks, die keineswegs so martialisch klingen, wie das der Name suggeriert. Aber Tankgirl hat ja auch nichts mit Zapfsäulen zu tun. Stattdessen findet man auf dem Cover einen Text, der vielleicht nur eine uneindeutige Auflistung möglicher Tracktitel ist - für mich liest er sich wie eines der besten Gedichte, die ich seit längerem las: "wer steht schon gerne im supermarkt / ist von inlineskatern eingeparkt / morgen ist auch noch ein tag sagt man / this is a track not an alcoholic problem / und der föhn weht über den enzianhof".
Die Frucht schaffen es auf ihrer neuen Single Supersad, eine der für sie typischen elegischen Melodien in einem 6-Minuten-Stück vom TripHop-Feeling über einen schnellen Breakbeat ganz erstaunlicherweise in eine zarte Akustikgitarrenballade (mit herrlichem Frauengesang - wer ist die Dame?) umzuleiten, und dann wieder zurück. Wenn hier der Beweis angetreten werden sollte, dass es die Komposition ist, die zählt, und nur in zweiter Linie die Produktion, dann ist das gelungen - auf jeden Fall ein sehr schöner Track, der sich auf geradezu wundersame Weise der Genre-Schubladisierung zu entziehen vermag (und deren Unzulänglichkeit angesichts der Möglichkeiten der Musik geradezu beschämend deutlich macht).
Ganz deutlich in ein vorhandenes Genre schreiben sich die 3 Shades of Blues ein - allerdings nur, um dieses dann von innen heraus zu dekonstruieren. Das München-Weilheimer Oktett, bei dem unter anderem die Gebrüder Acher (unter anderem of Notwist fame), Carl Oesterhelt (FSK/Merricks) und Ivica Vukelic mitmischen, baut aus Riffs und rauen Klangtexturen (das betrifft v.a. die Gitarrensounds, aber auch die durch ein Megaphon geschickten Vocals) eine John-Lee-Hooker-artige Atmosphäre auf, um dann aber die Grenzen des Blues-Schemas schnell aufzulösen und zu erweitern. Von ihrem Aufbau her wären die Stücke eher als Tracks denn als Blues-Songs anzusprechen. Diese offenen Strukturen bieten dann auch Raum für die im traditionellen Bluesverständnis, gelinde gesagt, untypischen Stimmen von Trompete, Bassklarinette, Baritonsax und Sousaphon. Neben den Mutationen von dadaBLUES JOE ein weiterer Beleg, dass man mit dem Blues-Genre noch etwas anderes machen kann als epigonale Coverbandscheiße.
Fazit: Der Winter kann kommen. Und wenn Sie das vorhin geschmacklos fanden mit dem weißen Pulver, dann sage ich Ihnen: Ich finde die Bombardements in Afghanistan auch geschmacklos. Guten Abend.