Sprachverliebt
Herbert Hindringer: Rette die Welt! (und wenn nicht, wenigstens dich). Hanau: G. Meyer’s Taschenbuch Verlag 2001. 80 Seiten, 14,80 DM.

Herbert Hindringer: Rette die Welt! (2001)Einer versucht darüber hinweg zu kommen, dass seine Freundin ihn verlassen hat, "und hohl klopft jedesmal mein Herz / wenn ich den Mond einschalte und mich erinnere / dass das auch mal dein Mond war". Viele Texte in Herbert Hindringers erstem Gedichtband Rette die Welt! thematisieren diese Situation: die Abwesenheit einer Frau - seit den Minnesängern, Dante und Petrarca die Ausgangssituation der europäischen Lyrik schlechthin. Das macht es nicht eben leicht, dem Thema noch originelle Wendungen abzugewinnen - Herbert Hindringer jedoch schafft es. Und zwar, indem er anhand dieses erzklassischen Themas den Entstehungsprozess von Poesie überhaupt sichtbar werden lässt: Ein Ich versucht sich schreibend seiner Gefühle zu vergewissern, sich von der schmerzhaften Faszination durch die Ex-Freundin zu befreien. Im Prozess des Schreibens jedoch verfällt es immer wieder der Faszination durch die Sprache selbst. Das Ich fasst die Wörter buchstäblich auf: "Das Wort sehr so oft im Mund und der bleibt doch unversehrt." Es nimmt die Sprache beim Wort und gewinnt vermeintlich toten Metaphern und Redewendungen neue poetische Energie ab: "ein offener Mund ist Feuer wert." In protokollierende Prosa schleichen sich Reime ein und gewinnen eine assoziative Eigendynamik. War anfangs die Sprache dem Ich ein Medium, um in seinem Leben Sinn zu stiften, so schlägt dieses Verhältnis im Fortgang der Texte um: die Biografie des Subjekts ist für die Sprache zu dem Schauplatz geworden, wo sie mit ihren immer neuen Sinnmöglichkeiten spielt. Das für sich protokollierende Ich ist zum lyrischen Ich der Sprache lyrischer Texte geworden. "Das Meer schwappt wie ein Teller Suppe, / den ich über einen Felsen tragen soll; / eine Buchstabensuppe ist es, / denn ich bin nach Worten toll, / um zu beschreiben, was eigentlich kaum / zu beschreiben ist - " nämlich jene immer neuen, albernen oder abgründigen überraschungen, die sich manchmal aus dem Spiel mit Bedeutungen ergeben und erahnen lassen, dass mit den begrenzten Mitteln der Sprache tatsächlich unendliche Variationen, unendliche viele neue Bedeutungen möglich sind. In den letzten beiden Texten des Bandes spricht sich deutlich aus, dass die Eigendynamik der Faszination durch die Sprache, oder genauer gesagt: die Schrift, den Anlass des Schreibens überdauern wird: Der ENDE überschriebene Text resümiert lakonisch das in vielen der vorangegangenen Texte aufgeführte Beziehungsdrama: "Ich muss / weinen tust du / nicht ich verliere / nichts und du / sehr viel / mehr ist nicht / mehr". Mehr? Ja, es kommt noch viel mehr, nämlich eine Nachschrift, die die totale Verschränkung von Subjekt und Schrift bzw. Schreiben offenbart: "Lass mich noch einen Satz verlieren: / Gib acht auf mich / (Wenn du ihn findest, gib ihn zurück)". Somit hat das Ich durch den biografischen Verlust, der zum Schreibanlass wurde, einen virtuell unendlichen Spiel-Raum gewonnen - ein Gewinn, der den Verlust mehr als aufzuwiegen vermag: "ich verliere / nichts". (Dass man ENDE aufgrund seiner multiplen grammatischen Bezüge auch ganz anders lesen kann, widerspricht dieser These nicht gänzlich, führt es doch eben dadurch die hier betonte Vielfalt der Sinnmöglichkeiten plastisch vor Augen...)
Wir haben es hier also mit einem äußerst intelligent komponierten Gedichtband zu tun, dessen Autor sehr bewusst das Medium Lyrik reflektiert. Das Großartige ist aber, dass in Herbert Hindringers Debüt diese Reflexion nicht auf Kosten des Sujets geht - im Gegenteil, es gelingen ihm Zeilen von großer Zärtlichkeit ("wir schlafen ein wie Augen"), die ihrerseits der Gefahr entgeht, zur Pose zu erstarren. Die Selbstironie des lyrischen Ichs und gelegentliche kalauernde Wortspiele - angesichts einer Wirklichkeit, die oft selbst wie ein schlechter Witz wirkt, ist der Kalauer eine durchaus adäquate Form realistischen Schreibens! - vermögen das zu verhindern. Im Hinblick auf das Wechselspiel von Ernst und Verspieltheit in Rette die Welt! sicherlich (auch) als programmatisch zu verstehen sind die häufigen Bezugnahmen auf Bob Dylan, dessen klassische Songs aus den 60er Jahren im Zeichen einer scheinbar traumwandlerischen Hingabe an die Dynamik von Reimketten ganz ähnliche Effekte erzielen. Dass gerade einige der sehr kurzen Reimgedichte an einen anderen deutschen Lyriker erinnern, der schon vor geraumer Zeit (es war 1980) ein Gedicht über Bob Dylan veröffentlichte, nämlich an Thomas Brasch und dessen in einer damals wie heute durchaus originären, unverbrauchten Weise auf Brecht zurückgreifenden Band Der schöne 27. September, mag Zufall sein. Die Art und Weise, wie sich Herbert Hindringer zwischen diesen von ihm bestimmten lyrischen Koordinaten verortet, ist jedenfalls äußerst konsequent und zeigt, dass geschriebener Lyrik in Reimform (von Rap und anderer Performance-Lyrik soll hier abgesehen werden) heutzutage noch weitaus mehr Möglichkeiten zu Gebote stehen als die Humoristik des hier ebenfalls (in dem Text Du richtest mich (doch ich nehm’s gernhardt)) gewürdigten Robert Gernhardt. "Ich will euch anmachen, / das macht mich aus", schreibt Hindringer an seine Leser. "Die Hoffnung, dass sie schwimmt / und nicht versinkt / meine Flaschenpost für dich", kann man der sehr lesenswerten Flaschenpost, die dieser Band darstellt, getrost erfüllen - und gespannt auf den nächsten lyrischen Annäherungsversuch warten.

Gerald Fiebig