Befund: Gut Fundgut
Dr. Treznok/CoCaspar/Inox Kapell: Bei Supamolly (3"-CD, Dhyana DHY045, 2002)
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Elektroschamane Inox Kapell und Dr. Treznok, der Vokalbläser und Textartikulierer, haben bereits vor knapp zwei Jahren eine Platte mit dem Titel Tourdoku gemacht. Damals handelte es sich um Songs/Tracks, die während ihrer Tour mit Toshi Hiraoka im Herbst 2000 entstanden waren; Stücke, die in Improvisationen begannen und im Lauf der Tour an Struktur gewannen. Kurz nach dieser Tour, während Toshi Hiraoka wohl schon wieder in Japan weilte, spielten Inox und Treznok zusammen mit CoCaspar ein Konzert im Berliner Supermolly. Sechs unbetitelte (bzw. immer nur als Instrumental betitelte) Stücke, die bei diesem Konzert aufgenommen wurden, sind auf dieser Mini-CD zu hören.
Anders als bei der erwähnten Tourdoku, auf der das Resultat eines abgeschlossenen Prozesses zu hören ist, hören wir hier den Prozess des Improvisierens, den Entstehungsprozess von Musik selbst. Es beginnt mit einem Klavierlauf durch einige Mollakkorde, die zunächst im leeren Raum hängen. Dann plötzlich schwirrt aus einer anderen Ecke ein metallisches "Sproing", als würde sich jemand mit dem Hammer an einer Sprungfeder zu schaffen machen. Sounds aus dem Werkzeugkasten werden eine der Klangquellen sein, die sich durch die ganze CD ziehen. CoCaspars Credit "Schraubzeug" bezieht sich wahrscheinlich doch eher auf das Herumschrauben an den Drehknöpfen eines Analogsynthesizers - Track 5 klingt wie Tuxedomoon nicht nach ihrer Reunion, sondern original wie 1978, komplett mit Ur-Oldschool-Rhythmusmaschine - , aber da Inox Kapell auch "Fundgut" spielt, ist es nicht abwegig, sich die Bühne des Supermolly voller Altmetall vom Sperrmüll vorzustellen. Auf der Tournee mit Toshi hatten der Herr Doktor und Meister Kapell ja auch ein opulentes Ensemble von klangerzeugendem Fundgut dabei, allerdings mehr Spielzeug als Schwermetall. Erinnerte ein wenig an ein Helge-Schneider-Set, wo ja auch immer viel Musik- und Requisitenmaterial aufgefahren wird, damit der Improvisationscharakter des Auftritts sich entfalten kann. Zumindest das konzert, das ich gesehen habe, war auch ähnlich verspielt.
Bei den Supermolly-Stücken dominieren dagegen dunkle Texturen; obwohl sie meistens mit leisen, gedeckten Sounds arbeiten - als dritte Kategorie kommen noch akustische Blas-, Zupf- und Streichklänge dazu, mit Dr. Treznok am "Blaszeug" - , bauen sie große Spannung auf, indem sie die Entwicklung der Stücke lange in der Schwebe halten und immer wieder die Taktik wechseln. Was wie ein ewig-elegisches Ambient-Space-Teil beginnt, kann plötzlich durch einen massiven Rhythmustrack seinen Charakter völlig ändern und dann wieder in Fast-Stille enden - Musik als Möglichkeitsraum, Musik als Kommunikation, deren Resultate vorher nicht feststehen können, als Struktur, die sich ihre Regeln selber schafft. Freiheit, die ich meine. So muss es sein. Da kann Jazz nicht mal mehr mit, wenn er von Helge Schneider gespielt wird.