Fröhliche Volksmusik vom globalen Dorffriedhof
Nicht nur Patti Smith unterlegt bei Konzerten ihren Song People Have The Power mit Bildern von Demonstranten beim WTO-Gipfel in Seattle 1999, auch anderswo hinterlässt die Bewegung der Gegenglobalisierung in der Popmusik ihre Spuren: Der Song Black Sun (In Genoa) ist ein Epitaph auf den 2001 in Genua bei den Demonstrantionen gegen den G8-Gipfel von der Polizei erschossenen Carlo Giuliani - ein Song, dem es gelingt, gleichzeitig die Panik eskalierender Gewalt und den Zorn über das geschehene Unrecht einzufangen - nicht nur textlich, sondern auch musikalisch. Zu hören ist das Lied als eines der Highlights auf Disorder, dem nunmehr dritten Album von McDermott's 2 Hours v Levellers (die, was nach dem eben Erwähnten kaum überraschen dürfte, auch auf unserer Compilation The Official Blackmarket Soundtrack zugunsten von Attac vertreten sind. Falls es das im englischen Sprachraum gern zitierte Phänomen des "difficult third album" wirklich gibt, so hat die in Brighton ansässige Formation das Nadelöhr mit Bravour gemeistert. In den Arrangements noch stärker in Richtung Irish Folk gehend als auf den bisherigen Alben, mit etwas weniger punkrockigem Schlagzeug und Stromgitarren, dafür oft sehr komplexer, rhythmisch vetrackter mehrstimmiger Akustikgitarrenarbeit, stellt sich das Album textlich wie seine beiden Vorläufer deutlich in die Tradition eines Rebel Folk, der nicht nur in Black Sun die Politik der Herrschenden anklagt, indem er ihre Opfer beim Namen nennt - und das ist wörtlich gemeint. Bloody Sunday, das sich wie das U2-Stück gleichen Titels, aber ungleich präziser mit jenem schwarzen Tag im Jahr 1972 befasst, endet damit, dass der Sänger mit gemessener Stimme die Namen der 13 Männer spricht, die damals während einer Demonstration in Nordirland von britischen Soldaten erschossen wurden. Wie sich die Bilder gleichen. In der Bildkaskade, die das Album beschließt, wird einer fiktiven Figur ein Name gegeben, die stellvertretend für viele(s) steht: Johnny And The Jubilee folgt dem Falkland-Veteranen Johnny auf seiner Karriere in die Obdachlosigkeit, konterkariert mit dem Machtwechsel von Tory zu Labour über den ach so tragischen Tod von Prinzessin Diana bis zum goldenen Thronjubiläum der Queen. Der Song ist ein Meisterwerk des Genres Protestsong, weil er es vermeidet, explizite Anklagen zu erheben, aber durch seine intelligente Erzähltechnik ein Panorama derart krasser sozialer Missverhältnisse entfaltet, dass am Ende die Frage überdeutlich im Raum steht, welche Loyalität ein Staat noch verdient hat, der so etwas zulässt. Da schließt sich der Kreis zum etwas formelhafteren, aber dafür optimistischeren Opener, dem Kampflied Tod The Ranter. Seine besondere Qualität gewinnt das Album aber daraus, dass es nicht nur Opfer benennt, die als Beispielfälle für akute politische Missstände stehen, sondern auch solchen, die Opfer leiserer, unterschwelligerer, verdrängterer Gewalt wurden, ob es sich nun um die Gewalt von Familienverhältnissen (Party To The Process) oder sexueller Gewalt (Summer Song) handelt oder um die von jungen Menschen geforderte Anpassungsleistung, an der manche zerbrechen (wie in dem großartigen, ja - man verzeihe den kitischigen Ausdruck - schmerzhaft-schönen Just A Life (Sol)) oder um die Gewalt psychischer Krankheit, wie sie den leider viel zu wenig bekannten romantischen englischen Dichter John Clare heimsuchte. Ihm ist unter dem Titel The Madness Of John Clare ein in seinem Stil gedichtetes Lied gewidmet. Alles in allem ist auch das dritte Album von McDermott's 2 Hours v Levellers ein eindrucksvoller Beweis dafür, dass es auch 30, 40 Jahre nach der Hochphase der politisierten Folk-Singer/Songwriter noch möglich ist, dem Genre Folk politisches Bewusstsein, und, was noch weit wichtiger ist: Leben einzuhauchen. Irgendwie beruhigend - wenn sich in diesen 30, 40 Jahren schon an der Praxis von Demonstrantenerschießungen nichts geädert hat.
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