"Revolution begins at home, preferably in your bathroom mirror", hieß es in den Linernotes der letzten Platte von Hüsker Dü. Diese "10 Lieder aus dem Wohnzimmer" hauen auch in diese Kerbe: die 'revolutionäre Überwindung' der (durch kaputte Beziehungen etc. induzierten) Depression beginnt zwischen Bad und Wohnzimmer, indem man ein Lied drüber schreibt und es aufnimmt.
Kein Wunder, dass Moll-Akkorde auf der Akustischen (oft mit elektrischer Zweitstimme, sehr schön, handwerklich solide) hier meist die Basis bilden. Jeglichem Stilpurismus abhold, wird das aber auch hübsch mit Elektronikgequirksel angereichert. Der bizarre, vollektronische Ausnahme-Track Cry little sister (McMann Remix) dagegen klingt wie der Kommerztechno-Remix eines 80er-Mainstream-Rock-Stücks. Parodie oder postmodernes Pathos? Das will ich hier jetzt nicht entscheiden.
OK, aber es ging um das revolutionäre Potenzial des Daheim-Sitzens-und-melancholische-Lieder-Schreibens. Die Revolution in dem Hüsker-Dü-Zitat ist ja nur eine auf den privaten Bereich gemünzte Metapher, aber was ist, wenn man 'Revolution' hier tatsächlich als politischen Begriff nimmt?
Der ganze Tocotronic-Hype z.B. tut seit Jahren nichts anderes, als das musikalisch zelebrierte Gelangweilt-vor-sich-hin-Frusten, das auch in Lehmanns Liedern hörbar ist, zur ultimativen dissidenten Lebensform zu stilisieren, sodass jeder, der sich ab und zu übers Fernsehprogramm oder die Leute, die auf der Straße zu langsam gehen, ärgert, sich schon toll rebellisch dabei fühlen kann: "Du machst auf natürlich verdrossen", nennt Lehmann treffend diese Haltung, der zu entgehen bei einer bestimmten Spät-80er-Sozialisation (Sozialpädagogen würden sie vielleicht "manieristisch-postalternativ" nennen) nicht leicht ist; das Tolle an diesem Album ist, dass es die Vergeblichkeit (siehe schon der lakonisch-desillusionierende Titel: Schüttel deine Welt! Haha.) und letztlich Selbstgerechtigkeit dieser Haltung bloßstellt, aber gleichzeitig an dem Willen zum Widerspruch festzuhalten versucht, bevor er endgütig in der eigenen Trägheit versackt.
Inhaltlich, von der textlichen Eleganz und von der musikalischen Umsetzung her (Tracy Chapman meets Pet Shop Boys) funktioniert das am Besten in dem rundum gelungenen Track Hastemanemark.
Lehmann unterzieht die "postmoderne Beliebigkeit" der Wohnzimmerrebellion und der medialen Generationenkonstruktion ("Notfalls schieb ich's halt auf unsere Generation, der Rest passiert dann schon") einer Meta-Analyse (Dekonstruktion?!). Vielleicht heißt seine sehr empfehlenswerte Website auch deshalb Postpostmoderne (die komplette Website gibt es übrigens als Daten-Bonustrack auf der CD - einfach bei Bestellung mit angeben). Kein Wunder, dass der Abschlusstrack Tag! Keine Meinung., eine offenkundige Tocotronic-Parodie, mit dem Fazit endet: "und ich habe keine Lust mehr in die Hamburger Schule zu gehen". Wozu auch? Lehmanns Musik braucht von niemandem Nachhilfe, und klüger ist sie ohnehin.
gebrauchtemusik
Lehmanns CD "Randalaise?!" von 2002 wird hier besprochen.