Dynamitfischen am Wörthersee
Jean Bach: Smugglers Downloading Genoveva DMS Tapes (CD, 555 Recordings 2002, 555CD52)
Various Artists: Little Brutal Rave Bastards Series Vol. 3 (LP, Dhyana/Little Brutal Rave Bastards Records 2002)

Gestern wäre Roy Black, der ungekrönte Papst des deutschen Schlagers und verkannte Erfinder des immerhin nach ihm benannten Black Metal, 60 Jahre alt geworden. Grund genug, Einkehr zu halten, wie er dies auch oft und gern tat, und den Mann zu preisen, der als einziger Produzent die Karriere von Roy Black noch hätte retten können (was ja bekanntermaßen nicht einmal mehr Dieter Bohlen gelang), hätten sie sich nicht tragischerweise um ein paar Jahre im Showbiz verpasst. Ja, Sie haben richtig geraten - ich spreche von Sascha Schierloh alias Jean Bach alias Anal Penetration, um nur einige seiner multiplen Persönlichkeiten zu nennen.

Zugegeben, diese Einleitung war ziemlich für'n Arsch. Ich bitte um Milde: Da bei einer standesgemäßen Roy-Black-Gedächtniskolumne auf 1000 Zeichen mindestens eine halbe Flasche Wodka mit Neoangin konsumiert werden sollte, sind die Arbeitsbedingungen etwas erschwert. Ziehen wir die Sache also mal von hinten auf und beginnen wir mit Anal Penetration. Zusammen mit den bereits klassischen Schierloh-Identitäten Bidol Cath, Rgyeue DF und Carpet Cunt Tango Ensemble und Schierlohs Kollegen JBible, Anti Trance Consortium 666 und Panzer tummeln sich die possierlichen Zeitgenossen auf der dritten LP der Little Brutal Rave Bastards-Serie, die auch einige der bereits auf der Vorgängerplatte durchaus erheiternden Death-Metal-Zersägungen enthält (Puristen jener Stilrichtung würden beim Hören von Pus Vomiting Rectums wahrscheinlich vor Schreck und zähneknirschender Wut ihre Runen zerbeißen. Oder einen Anal-Penetration-Fanclub gründen, wer weiß.) Der Großteil der Platte ist jedoch minimalem, fies basslastigen und bewusst dreckig produzierten Tanzmaterial gewidmet. Durchaus 4/4 bisweilen, d.h. es ist für jeden was dabei - das er verabscheuen kann ;-) Wer die eine Seite der Platte mag, wird die andere hassen, und umgekehrt. Oder gar Angst bekommen. Vielleicht ist das ja gar die Antwort auf meine Frage: "Was ist Angstpop?" Die stelle ich mir nämlich, seit ich auf einem Flyer für einen Abend mit Gothic-DJs diesen mir neuen Genrebegriff las. Da die Gruftis ja schon rein äußerlich als eine Subkultur mit hohem Roy-Black-Bezug erkennbar sind, könnte Sascha Schierloh vielleicht sogar in diese Frage Licht bringen. Schwarzlicht, versteht sich.

Während die LBRB-Serie ja insofern wirklich was Schlagerhaftes hat, als hier ein Produzent hinter diversen Interpreten-Namen steht (remember Frank Farian? Ralph Siegel?), ist die parallel zu LBRB III unter dem Namen Jean Bach erscheinende CD Smugglers Downloading Genoveva DMS Tapes in jeder Hinsicht wunderbarer, verspielter, eklektizistischer (und das ist in diesem Haushalt kein Schimpfwort, verstanden?) POP. Das Album lotet die ganze Vielfalt von stilistischen Ansätzen aus, die Sascha Schierloh abseits der Brachial-Elektrometal-Trash-Schiene draufhat, und das sind ja so einige, und zwar die interessanteren, und noch dazu richtig schöne. Einige der Stücke sind Versionen und Umarbeitungen bzw. Fortsetzungen von Tracks, die auf der ähnlich angelegten Shootingstar-LP von 2000 erschienen waren; auch finden sich einige Remixes, u.a. von einem Stück von minmae - was zeigt, wie produktiv bei Jean Bach die Auseinandersetzung mit sehr anderer Musik (LoFi-Indiepop) funktionieren kann. Um die Vielfalt dieser CD auf einen knappen Nenner zu bringen, würde ich sagen: Jean Bach does to techno what De La Soul did to hiphop. Und das war einiges, und zwar Gutes, wenn sich auch heute keiner mehr dran erinnert. Genau wie an Roy Black. Möge Jean Bach dieses Los erspart bleiben, vor allem das von Roy Black.

So, jetzt ist der Wodka alle. Und das Neoangin auch.

gebrauchtemusik

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