Musik ist unsichtbar, aber real
Der Unsichtbare: Unrealised Tracks (CD)
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Was schon an der Debüt-LP von Der Unsichtbare, Die elektronische Kindheit, deutlich wurde, bestätigt sich auch an den neuen Tracks des Duos: Diesen Leuten geht es nicht nur um Beats, sondern auch um Geschichten. In den ersten beiden Tracks werden diese Geschichten in der von der Kindheit bekannten Manier auserzählt: durch ausführliche Dialog-Samples aus dem Film Der Unsichtbare, die handwerklich sehr solide in das technoide Mauerwerk der Tracks eingearbeitet sind, allerdings die Gefahr bergen, allzu offensichtliche Pointen anzusteuern.
Mit den Tracks 3 und 4 bewegt sich die Musik deutlicher ins düstere Electroumfeld, die funktionale Tanzbarkeit gewinnt an emotionalem Profil. Parallel dazu werden die Samples hier viel mehr verfremdet: aus Botschaft wird Stimme. Der Hörer bekommt mehr Raum, zwischen den basslastigen Beats und den hochfrequenten Sounds, die an- und abschwellen (wie der Unsichtbare sicht- und wieder unsichtbar wird?), seine eigene Geschichte auszumachen, zu erahnen. Track 4 sticht dabei unter den neuen, offiziell noch unveröffentlichten Stücken hervor. Das Stück beginnt weder mit einer Stimme noch mit einem Beat, sondern einem elektronischen Summen (ah, ist Die Fliege jetzt auch noch dabei ;-) ?), aus dem sich der Beat erst herausarbeiten muss - doch die flirrende Klangkulisse bleibt stehen und schwankt in einem Wind, dessen Herkunft unklar bleibt. Die Stimme, die auch auf diesem Track präsent ist, flüstert in einer nicht eindeutig erkennbaren Sprache gegen diesen Geräuschdschungel an - spannend! Abenteuergeschichte ohne Worte. Zweifellos der genretypischste Electrotrack unter den hier versammelten, aber ohne alles unterkühlte Nachtschattengehabe. Klingt nach schwüler Dschungelnacht, wie gesagt, und so kann dazu auch getanzt werden. Gerockt, muss man eigentlich sagen.
Track 5 führt das Spiel mit den Samples auf ein neues Level der Eleganz, weil hier nicht alles der Sprache überlassen wird, sondern die Sprachsamples in Dialog mit einem Musikzitat treten: Die Aussage "Ich werde mich als Individuum anpassen" trifft auf erkennbare Wiedergänger der 80er-Musiksozialisation und wirft schmerzhaft die Frage auf, wie weit seit dem ersten Hören dieser Sounds die Anpassung oder Individualisierung (und ist das nicht womöglich dasselbe?) fortgeschritten ist - die direkte Fortsetzung von Die elektronische Kindheit und musikalisch ein komplex schimmerndes Juwel, das die Kategorien von Zitat, Remix und Collage überschreitet - formal ist es all das und doch nichts davon ganz, aber die Aussage geht um Meilen hinaus über das oft gimmickhafte dieser derzeit achsohippen Minimalelektronik-Popcoverversionen (die das industriekompatible letzte Zucken des kurzen Bastardpop-Sommers der Liebe darstellen, bien sūr).
Auf Track 6, musikalisch eine der schnellsten Nummern, finden ebenfalls 80er-typische Synthiesounds Verwendung, aber keine konkreten Musikzitate. So könnte es sich anhören, wenn man unter Verwendung von frühen Cure-Platten einen clubtauglichen Track erstellen wollte. Ist also offenbar kein von vornherein absurdes Unterfangen. Auf der Sprachsample-Ebene wohnen wir hier der Überführung von gerade noch irgendwie sinnhafter Rede in eine Art Stöhnen bei. Perfekte Musik für einen Abend, der unerwartet hektisch wird, obwohl man dafür eigentlich viel zu deprimiert und/oder müde ist. Oder jede andere Situation, in der Melancholie und Hektik aufeinandertreffen müssen.
Der Brachial-Remix von The Last Unicorn auf Track 7 formuliert eigentlich die Aussage von Track 5 nur mit einem trashigeren Instrumentarium nochmal, kann dem aber sonst nicht viel dazugeben. Nach der Hälfte hat man's schon mehr als endgültig kapiert.
Track 8 ist eine Version des Monokain-Tracks Nr. 1 (Monokain ist die Droge, mit der sich der Unsichtbare in H.G. Wells' Roman und im Film unsichtbar macht), aber erst hier gewinnt die Musik die Schärfe, die zu dem Titel passt: schnell, metallische Schläge auf die Eins und im Höhenbereich reichlich Frequenzen, die nerven wie ein schlechter Trip oder Luftschutzsirenen. Was wie eine nette B-Movie-Zitatpopkiste begann, entpuppt sich als latent, aber mit voller Absicht schmerzhaftes Delirium und somit als realistische Musik für kriegerische Zeiten.
Vielleicht kriegen die Piloten der amerikanischen Tarnkappenbomber ja auch Monokain, damit man sie genauso wenig sieht wie ihre Flugzeuge.

gebrauchtemusik
Hier gibt es einen Text über das erste Vinyl-Album von Der Unsichtbare.

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