Herr, schmeiß Hirn vom Himmel!
Bantu Mantra & Jesus Jackson: Das Hirn/Skin/Die Große Maschine (3"-CD, Sternenfeld @ Frickel_Land, 2003)
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Eine kleine CD, aber mit einer Stahlplatte als Cover. Und mit der Wucht einer niederfallenden Stahlplatte trifft sie auch den Hörer. Jesus Jackson und Bantu Mantra lassen fiese Elektrobeats los, die einen alles nervige 80er-New-Wave-Retro-Getue der letzten Jahre schlagartig vergessen lassen. Sägende Synthesizer, cheape Beats und gesampeltes Metallgeschepper krachen hier mit eisiger Leidenschaft aufeinander, als würden die Sounds gerade erst erfunden. Und dazu skandiert Jesus Jackson, der sonst durchaus ein Mann des melodischen Gesangs ist, seinen Text, in jener Diktion, die man etwa von den frühen FSK und vielen anderen Bands der experimentellen New Wave kennt, jener Diktion, die sich nicht entscheiden kann, ob sie Schmerzensschrei, Blues oder Demoparole sein will und genau daraus ihre Relevanz bezieht. Großartig wird das dadurch, dass es in dem Text, den er singt/spricht/performt, um genau jene Konfusionen geht - um Widersprüche, die vielleicht faktisch "vorbei" sein mögen, die aber jene, die sich in einer bestimmten Zeit ihres Lebens mit dem Thema beschäftigt haben, immer noch als ungelöst betrachten mögen. Es geht um "das kranke Hirn der RAF", basierend auf der BILD-Zeitungsmeldung, dass Ulrike Meinhof in den 60ern wegen eines Gehirntumors operiert worden sei: "Aus einem Tumor wuchs die Revolution / Wuchs Baader / Wuchs Mahler".
Ulrike war krank 68
Ulrike war krank
Ulrike war krank
Ulrike war krank
Ulrike war krank 77
Ulrike war krank
Ulrike war krank
Ulrike war krank
Es ist vorbei 2003
Jetzt ist es vorbei 2003
[Für Retrofans: Dieser Schluss steht dem "My eyes are dry - goodbye" in Creatures of the Night von Tuxedomoon in nichts nach!]
Man muss das Stück hören, um zu verstehen, wie die Aufsplitterung von Jesus Jacksons Stimme auf mehrere Gesangsspuren die erwähnten Zeitkoordinaten verwischt, ihre Relevanz in Frage stellt und ihren in bestimmten Kulturgeschichten dogmatisch verbürgten Wert (77 = nicht nur das Terror-, sondern auch das Punkjahr) negiert angesichts einer Gegenwart, auf die die Ereignisse jener mythischen Jahre längst keine sinnvolle Antwort mehr bieten - und gleichzeitig klammert sich die Stimme an den Beat, der das Stück weitertreibt, und wenn es Richtung Abgrund ist, und verleiht damit dem Wunsch Ausdruck, sie möge nicht Recht haben, wenn sie proklamiert: "Es ist vorbei".
Hier brechen die Widersprüche auf, sie strömen über den Körper des Songs wie die Ströme durchgebrannter Wunschmaschinen: der RAF-Terror wird "Revolution" genannt, obwohl ihn andere nur als Verbrechen bezeichnen würden. "Gebt mir das Hirn zurück / Das kranke Hirn" kann genauso auf den Sprecher wie auf die RAF gemünzt werden: Man muss verrückt sein, um an einem so offenkundig dementen Modell des Widerstands festzuhalten wie an dem der RAF, aber das ist immer noch besser, als kein Modell des Widerstands mehr zu sehen. "Jetzt ist es vorbei - 2003", das darf einfach nicht stimmen - und der Beat läuft ja auch weiter.
Die beiden anderen Stücke der CD haben einen ganz anderen Sound - sie klingen, grob gesagt, als würden Massive Attack mit Neu! Musik für einen typischen David-Lynch-Film aufnehmen: atmosphärisch, hypnotisch und ziemlich beängstigend. Die Stimme wird von Track zu Track unklarer, es geht um Blutspuren auf dem eigenen Körper und dann um das Verschwinden des Ichs in einer sinnentleerten Massenbewegung, aber an der Stelle, wo Jesus Jackson davon spricht, kann man ihn schon nicht mehr verstehen - das nenne ich eine konsequente Ästhetik! (Ich kannte den Text nur zufällig, weil er auch auf Wort & Vinyl zu hören ist.) Damit beweist die Musik nur, was die Texte behaupten - Existenz ist ohnehin eine gefährliche Sache, und wenn man dann anfängt, darüber nachzudenken oder dagegen vorgehen zu wollen, wird alles schnell noch viel komplizierter. Das aufzuzeigen, ohne eine korrekte Haltung anzubieten, macht die Musik auf dieser CD zu brisantem Stoff - fette Beats und heavy Texte mit schweren Konsequenzen, schwer wie ein Stück rostiger Stahl. Als würde man was kiffen und es schmeckt wie Kryptonit. Und dann wirkt es auch noch so.
gebrauchtemusik
Hier findet sich ein Leserbrief von Jesus Jackson aka Jürgen Jäcklin zu dieser Rezension.