Every Debut Is Better Than Its Follower, heißt Track 3 auf Bernd Springs zweitem Album ohne Deep, und obwohl das erste immerhin auf unserem hauseigenen Label erscheint, kann ich mich dieser Aussage in Bezug auf diese CD nicht anschließen. Dominierten auf dem Erstling Infrastruktur noch sehr transparente, analytisch klar aufgebaute Collagen aus erkennbaren Geräuschquellen und meist hohen Frequenzen, die sich in ganz minimalen Permutationen bewegten, so wird hier - ich benutze den Begriff gerade, weil er im Umfeld einer sich explizit als Ambient-Industrial definierenden CD so unpassend scheint - gerockt. Indem tiefe, raue Klangwände und Flutwellen sozusagen in Zeitlupe übereinanderkrachen, zerbrechen, warme Unterströmungen in Form von analogen Bassmelodien wie von den frühen Cure freigeben. Indem die Kälte der Schichten aus Rauschen durch das schmerzhafte, aber organische Splittern von Holz konterkariert wird: Hätte Robert Smith mitgeschnitten, wie er sich aus dem Unterholz von A Forest einen Weg ins Freie bahnt, es würde klingen wie Every Debut.... Wenn man morgens viel zu früh im Dunkeln aufwacht, noch vor dem Weckerklingeln, weil der fiese Eisregen gegen die Scheibe schlägt und bei dem schrecklichen Gedanken, da jetzt hinauszumüssen, eine warme Berührung neben sich verspürt, von der man sich aber losreißen muss, dann fängt Sleeting diese Atmosphäre perfekt ein.
On the Road Again
Troimoucha Croupisoldus: Roadies / Road Dies (7", 2002)
Mit Straßen und den damit verbundenen Problemen befasst sich auch eine der aktuellen Veröffentlichungen auf Bernds Label Dhyana Records: Die 7" Roadies / Road Dies von Troimoucha Croupisuldos greift die Klangkulisse von Verkehr und Schrottplatz in so deutlich erkennbarer Weise auf, dass man die beiden Tracks - in denen auch noch sehr stark mit Stimmen gearbeitet wird - fast schon als rhythmisches O-Ton-Hörspiel hören kann. Der zunehmend gebrochene Drum'n'Bass-Rhythmus und die hochfrequente, irgendwie weirde (Jimi Tenor meets Aphex Twin meets Nick Cave) Soundkulisse machen einen hektischen, hysterisch überdrehten Eindruck - durchaus positiv gemeint, denn Hysterie ist ja eine Komponente, die im Straßenverkehr öfters eine Rolle spielt... sozusagen eine elektronische Dekonstruktion von HotRod-Sound. Garantiert KEINE gute Musik zum Autofahren (eher was für den Mulholland Drive, wenn schon), aber eine ziemlich spannende Platte, in die man sich immer wieder mal vertiefen wird, um herauszufinden, welche Geschichte sie wirklich erzählt.
Natürlich wird es Leute geben, denen diese Musik zu düster ist, aber denen sage ich: Diese Musik ist wie die intensivsten Momente meines Lebens, im einen Moment eiskalt, im anderen ein Hochofen, erbarmungslos in ihrer Wucht und von großartiger Schönheit. Und ich sage auch, dass ich mich besser unterhalten fühlen würde, wenn ich mir eine Nacht lang in einem dunklen Kino ohne Bier diese CD anhören dürfte, als wenn ich mir eineinhalb Stunden den BAP-Film von Wim Wenders anschauen müsste. Denn in der Welt von Bernd Spring, und insofern ist seine Musik natürlich noch viel schöner als das "wirkliche Leben", ist für so schreckliche Dinge wie Wolfgang Niedecken kein Platz. Übrigens enthält die CD auch einen expliziten Protestsong (kann man schon so nennen, ja) gegen andere Auswüchse der Musikwelt: Kill Your Local Nazi Industrial Hero ist eine hinreichend deutliche Absage an jene, die die Noise-Szene als Plattform für die Verbreitung faschistischer Propaganda nutzen wollen.
Nach diesem notwendigerweise aggressiven Ausbruch folgt der vom Bass dominierte, herrlich sehnsuchtsvolle und an die schönsten Popsongs von Deep erinnernde Abschlusstrack Land of Half-Finished Roads.
Bestellung bei Dhyana Records (DHY041)