Thomas Nöske:
Ich könnte mir eher vorstellen, daß das Internet die Effekte der Massenkultur weiter verschärfen wird: die feinen Unterschiede zwischen Mensch und Mensch weiter verwischen und Phraseologien weiter einschleifen. An eine gute Basisdemokratie im Internet glaube ich nicht, oder wenn es sie gäbe, würde sie nichts bringen, so wenig wie die Arabella-Talks am Nachmittag auf Pro Sieben was bringen. Gewiß läßt sich im Internet ruckzuck und rund um die Welt mit allen möglichen Freaks oder normalen Leuten über jedes noch so spezielle Thema debattieren. Was aber bringt das? Im Ausstieg aus der Atomenergie kommen wir damit nicht weiter, und das ist noch nicht einmal das schlimmste Problem unserer sogenannten Zivilisation. Insofern sehe ich den Vorteil nicht in der von Boris Kerenski erwähnten "neuen Meinungsfreiheit". Früher hat man die Anarchopunks eben in der Bar oder Disco getroffen. Dagegen meine ich, daß man für eine wirklich tiefere und verständnisvollere Kommunikation unbedingt leibhaftig Beisammensein muß, weil man nur so die viel zitierte Chemie, die ja bekanntlich stimmen muß, fühlen kann. Wird sie amputiert, wie eben bei der technologischen Kommunikation, entwöhnt sich der Mensch von der Erfahrung der zwischenmenschlichen Schwingungen. Das sieht man sehr schön bei den zahllosen Berichten über Liebe im Internet: wenn sich die Talk-Partner endlich verabreden und in der Realität treffen, ist das ganze Flair meistens futsch. Eine Literatur, die up to date sein will, müßte, meiner Meinung nach, sich mit solchen sozialen Phänomenen der modernen Zeit und ihren Folgen auseinandersetzen. Wie verändert der häufige Umgang mit dem Internet das Bewußtsein auch für Situationen außerhalb des Internet? Werden wir konditioniert, in normalen Gesprächen bei bestimmten Stichwörtern imaginäre Links anklicken zu wollen? >>>