1993!
In einem Vorort von Dortmund will ich gerade einen Supermarkt betreten. Ein LKW vor dem Eingang versperrt mir den Weg. Ruckartig öffnet sich auf einmal die Seitenklappe, es erscheint... "Guuunta Gaaabriel!".
Zusammen mit einer Country-Gruppe, den "Blähboys", wirbt er für einen bundesdeutschen Bohnensuppenhersteller. Diesem Überraschungscoup sind wir nichtsahnenden Anwesenden nun wirklich nicht gewachsen! Schluchzend fallen wir uns in die Arme. Und stolz bekennt daraufhin "Erz-Schurke" Gabriel leicht angeheitert (aufgrund der überwältigenden Stimmung natürlich!), er sei niemals in all den Jahren ‘getingelt’. Er nicht. Und alle glauben wir ihm, während wir unsere Suppen auslöffeln. Nach etwa 30 Minuten ist der Spuk vorbei.
Fasziniert bleibe ich noch stehen. Ich sehe, wie der volksnahe Schlagersänger bereitwillig Autogramme auf Suppentüten und Gratis-CD’s gibt...
Und ich weiß plötzlich: er wird noch einmal wiederkommen, der Schlager.
Ja, doch! Der Schlager, meine alte Jugendliebe! Mit verheulten Augen und zerlaufener Schminke steht sie vor meiner Tür und begehrt leise klopfend um Einlaß! Damit hatte ich nicht gerechnet: das verrückte Weibsstück will nach all den Jahren tatsächlich zu mir zurück.
1998!
"19 Uhr 30 Minuten und 53 Sekunden.
"Bermingham!" Dieser Ausruf brachte die Volksseele zum Überkochen. Bis zuletzt klammerten sich Liebhaber des Schlagers an die Hoffnung, diese "letzte Schlacht", angeführt vom ‘Meister’ Guildo Horn siegreich zu beenden. Nach der Niederlage folgte die "Kapitulation von Bermingham". Damit nimmt nun endgültig ein trauriges Kapitel der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte ein Ende, "das vor rund 20 Jahren im Sommer 1977 in einer Massenhysterie gegipfelt hatte, die unser schönes Land an den Rand eines Ausnahmezustandes brachte" (schreibt die FATZ). Von einer "fast mystischen Zäsur" war gar die Rede. Auch heute noch werden die Taten der damaligen Schlagerszene von deren Sympathisanten heroisch verklärt: Helmut, 34, spricht für uns alle, wenn er sagt: "Ich bin durch Dieter-Thomas zum Schlager gekommen. Er ist genauso verrückt und durchgeknallt wie wir!"
Sprechen wir also über den Kopf der Bewegung, über Dieter-Thomas Heck!!!
Damit waren etwa 15-20 Millionen Sympathisanten (Käufer) vor den Fernsehschirmen und 500 ausgewählte Gäste im Studio angesprochen. Ein kollektiver Rausch, regelmäßig auf die Spitze getrieben durch Hecks legendären Satz: "Klaus, wir können abfahren!"
Und nun hatte ein Schlagerstar genau 3 Minuten Zeit, um vom Publikum geliebt zu werden! So wie "Howie", der während er seine zumeist traurigen Lieder sang, immer (!) lächelte. Dafür liebten ihn dann alle. Er war es übrigens auch, der mit "Hello Again" (1981?) den letzten "bleibenden" Schlager brachte.
Nach exakt 3 Minuten kam jeweils das abrupte Ende. Klaus stoppte das Band, während der Sänger, hilflos mit den Armen rudernd, noch seinen Satz zu beenden versuchte. Doch da kannte Dieter-Thomas Heck keine Gnade! Denn: es ging ihm nicht um ein Lied, sondern um den Menschen ging es ihm - wie allen Ideologen! Ein paar vertrauliche Insider-Informationen folgten noch, manchmal Blumenberge ("Danke!"), der Applaus schwoll an - und ab! Dafür gab’s obendrein 2500 DM Honorar.
Nach besagtem "Hello Again" folgten nur noch verzweifelte Versuche, das eigene Scheitern zu vertuschen. Heck hörte auf, als die "Neue Deutsche Welle" sein Lebenswerk ins Lächerliche zog. Fast 10 Jahre Stille - und dann kam Guildo, der Musiktherapeut aus Trier, um die Sache standesgemäß zu Ende zu bringen!
"Von Anfang an hatte die Schlagerbewegung sich maßlos überschätzt!" (schreibt die TATZ) Und nun also das achtseitige Schreiben, das heute vormittag der Nachrichtenagentur GREUTER zuging! Darin heißt es, der Deutsche Schlager "sei der Versuch einer Minderheit gewesen, entgegen der Tendenz dieser Gesellschaft zur Abschaffung der Traurigkeit beizutragen..." Darauf folgt das resignierende Bekenntnis: "Auch der Deutsche Schlager konnte keinen Weg zur Befreiung aufzeigen!"
Die Einsicht der Schlußerklärung verleiht der Schlager-Nachhut zumindest einen Hauch von historischer Größe. Doch was bleibt?
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