Gedicht Dresden 06.05.2000


Sommerliche Übelkeit, Oberbürgermeister
kandidaten an jedem Laternenpfahl, der
gewöhnliche Dreck, & an jeder
Haltestelle, garantiere ich, jemand
mit der Sehnsucht                                                   Life is now, für
		       ‚weg von hier‘					     18.99 DM
	(oder es sind die luftigen
Kleider der Mädchen, die dort sitzen, die
	dich daran denken lassen, oder
es ist die Strömung der Elbe, die heute
	 in die Parkwiesen reicht?)

		Elbterrassen: Krieg verzehrt, was
				der Frieden vermehrt, 1 Inschrift wo
der Krieg nur noch hypothetisch
		vorhanden
ist.				Was an Ruinen erinnert:

Holunderbüsche aus Altbau
Fensterritzen & angewehtes
Laub, in der Mitte des 
Kreisverkehrs							& jede Haltestelle,
							jeder Bahnhof, jeder Flug
							Hafen, kennt dieses Gefühl
‚weg von hier‘
								ausgelöscht zu werden.

Stehende Nachmittagsglut.
Goldgeklunker, sie rüsten die
	Frauenkirche
neu, vor dem nächsten
	Einfall, ein.			          Elbufer: flüchtiges 
                                                           Hinstarren auf das Geflitter der
                                                           Bäume, Birkenpollentag
                                                           träume, drink sangria
						 	   in the parc
					
                                        that’s exactly
			was sie tun, hier, wo 1 Schluck aus dem Bier
			glas oder der Blick in die Flasche Wein, aus der später
			ein paar grüne Scherben werden, 1 Wohltat ist oder
		die Sehnsucht von jedem 1zelnen auf jedem 1zelnen Stück Rasen, vom
				
					perfekten Tag, hier

wo um die Springbrunnen & Gehweg Gullies 
		‚Tränenblech‘
pepflastert ist:						Das ist nicht
								sentimental, das ist der
								amtlich eingetragene 								         Name des Materials, made
								in Germany. 

(Da fällt mir die Geschichte der Großmutter ein, die diesen Himmel leuchtendrot gesehen hatte, in der Nacht, 200km weit weg, vor 55 Jahren.)
						
                                              Ich bin knapp
						25 Jahre.

55 Jahre später
spielt hier Lou Reed.						Alter Schlachthof
Er ist 57. Er spielt
Gitarre. Das Spiel
beginnt spät 							vor lauter Leuten, die
abends. Nach jedem Lied					alle, jeder für sich, die
reicht ihm der Gitarrenmeister				Sehnsucht an 1 Haltestelle
eine andere Gitarre. 						kennen, die alle, jeder
								für sich, hierher gekommen
Lou Reed singt:						sind, um ‚weg von hier‘, noch
	Get outa here...				weiter weg, zu kommen:

		Für 1 Moment fliegen wir wirklich mit
		Lou auf der Gitarre:
		
	fly fly away					     (später werden wir 
        							sagen, daß er uns beiden
								       in die Augen sah)

						Morgen muß er weg von hier.
							
                                                        (Lou muß weg, & auch wir beide
							müssen das, doch jeder woanders
                                                                                       hin.) 

Als Lou die Gitarre
weglegt, geht das Licht an:



                   Jetzt ist diese Stadt tatsächlich von der Landkarte verschwunden
Jan Röhnert
Hier gibt es ein weiteres Gedicht von Jan Röhnert zu lesen.