In der Millenium-SPEX, der letzten mit Dietmar Dath am Start und also der letzten, die ich noch ohne Magenkrämpfe lesen konnte, war eine tolle Auflistung der Platten des Jahrhunderts zu finden. Ich fand diese Auflistung deswegen toll, weil sie sich einerseits in ihrer Subjektivität selbstbewusst gab, andererseits aber wusste, dass sie nie irgendwem Genüge tun könne. Von daher habe ich auch keine Lust, diese Liste für mehr als einen Aufhänger zu verwenden: also -"Blonde On Blonde" von Bob Dylan war darin irgendwo in der Mitte zu finden. Das ist schön und gut, aber für mich ist DIE Platte eher des Zimmermanns zweites Werk, "The Freewheelin' Bob Dylan". Ich war 16 und es war Sommer.
Dylan sagt einmal über Guthrie "he had a particular sound". Ich verstehe, glaube ich, was er meint. Es war dieser Sound. "A Hard Rain's A Gonna Fall", Dylans Umarbeitung der ur-alten Ballade "Lord Randal" - "Where have you been, Lord Randal, my son?" mit ihrer archaischen Frage-und-Antwort-Struktur ins atomic age verlegt. Lord Randal ist vor dem Sterben, denn er ist vergiftet und sagt seiner Mutter auf ihre Frage: "mother, dear mother, make my bed soon, for I'm weary with hunting and I fain would lie down". Nichts davon wusste ich mit 16, aber jetzt weiss ich es - und das sagt doch auch viel über diese Platte, finde ich.
"Corinna, Corrina", von Wolfgang Ambros, also gewissermaßen dem Martin Luther der Popmusik, verdeutscht. Es mischen sich auf der "Freewheelin'" Dylans eigene Stücke mit viel weniger Interpretationen von alten Folk/Blues-Songs, als auf seiner ersten, in der SPEX (R.I.P.) - Sprache "dito" betitelten. Und was ist mit "Talkin' World War III"? Alter Schwede! Darüber zu schreiben wäre Schwachsinn. Diesen Text muss man sich mal reinziehen. Sein "I guess it's just us two" macht den Sprecher - nach dem atomaren fallout - beim Gegenüber zum Kommunisten. Can you feel it? McCarthy-era und so? Was man darüber immer hört, kann man hier nachvollziehen.
Es war Sommer. Ich lief neben meinem Spezi Marek mit dessen tragbaren roten Loewe-Kassettenrekorder durchs Schnaittacher Freibad. Heraus dröhnte "Oxford Town" oder "Honey, just allow me one more chance" - eben die "Freewheelin'". Wahnsinn, wenn ich heute darüber nachdenke und denke, was ich denken würde, wenn zwei Sechzehnjährige mit lautem Dylan-Sound durchs Freibad liefen. Ich glaube, dergleichen gibt's nicht mehr. Aber das denken ja alle alten Säcke. Das gab es im Sommer 1990 - fast 30 Jahre nach der Freewheelin' - und warum sollte es das 40 Jahre danach nicht mehr geben?
Was Dylan in seiner Elegie an die Jugend, "Bob Dylan's Dream", meint, wenn er sagt "as easy it was to tell black from white/it was all that easy to tell wrong from right/and our choices they was few/and the thought never hit/at the one road we travelled/whatever shattered or split (...) we thought we could sit forever in fun/and our chances really was a million to one" war für uns nicht nachvollziehbar. Wir haben es mittlerweile nachvollzogen. Das Verhältnis, das Dylan da angibt ist vielleicht sogar optimistisch geschätzt.
Achja: und natürlich "Blowin' in the wind". Und nicht zu vergessen, mein all-time-favorite, "Girl from the North Country"!
Friedrich Wippenbeck