Zombies in der Lindenstraße
Tanzende Kadaver: Die Frage ist egal ... die Antwort ist schockierend!, CD, RJT/Empty Head/Elfenart 2003
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Obwohl einige elektronische Tracks auf diesem zweiten Album der Braunschweiger Band auch in Gothic-Kreisen ihre Freunde finden könnten, sind die Tanzenden Kadaver keine Gruftis, sondern "Horror-Punkrocker". Was das bedeutet? In musikalischer Hinsicht durchweg sehr melodischen, schnell und präzise gespielten und gediegen aufgenommenen "Emo"-Punk mit schönen Harmony-Vocals. Textlich steht es für das Spiel mit Horrorfilm-Versatzstücken (Vampire, Zombies, Menschenfresser), die in ihren schlechtesten Momenten an die angestaubte Pseudo-Schock-Ästhetik der Ärzte erinnern. Ihre Highlights hat diese Methode aber, wenn die Horrorszenen, wie in jedem guten Splatterfilm, verwendet werden, um den schlechten Alltag anzugreifen - das unbestreitbare Meisterwerk ist hier Zombies in der Lindenstraße, in dem Egon Kling als Untoter zurückkehrt und allen Lindenstraßenbewohnern den Garaus macht: "Massaker in der ARD" als eingängiger Refrain! Von großartiger, schon fast an die goldenen Zeiten von FleischLEGO erinnernder, grotesker Albernheit sind auch folgende Zeilen: "Allzulange stand er nutzlos in der Gegend rum / ich dachte mir er nimmt es mir bestimmt nicht krumm / wenn ich ihm etwas Strom durch seine Venen jage / und ihm dann ein paar seiner eigenen Songs vortrage". Um wen es geht, sagt der Songtitel: John Lennon lebt wieder.

Wie so oft bei Platten, die mit Konzepten überfrachtet sind, sind auch hier die besten Songs solche, die man nicht dem Horror-Punkrock zurechnen kann, weil sie sich mit den alltäglichen "Emo"-Themen befassen. Neben ein paar traurigen Liebesliedern findet sich das schon an die Klasse von ...But Alive heranreichende Die Nachteile, das auf hochelegante Weise eine bestimmte Lebenssituation beschreibt, ohne sie mit zu vielen Details auszuschmücken. Dadurch bekommt der Song eine Allgemeingütigkeit, die der Phantasie des Zuhörers alle Möglichkeiten offenhält, das Stück auf die eigene Realität zu beziehen. Der genialste Moment der Platte ist aber die Stelle, in der der punkerverachtende Ich-Erzähler des Songs Punkrocker viermal hintereinander immer hysterischer brüllt "Ich bin vorurteilsfrei" und der Chor echot "100% pc" - diese eineinhalb Sekunden bringen auf erschreckendste Weise auf den Punkt, was man sich unter dem "pathologisch guten Gewissen" einer Gesellschaft vorstellen muss, die sich selbst für das Maß aller Dinge hält und sind politisch brisanter als ein Zentner "Scheiß Bullen"-Songs.

Alles in allem eine schön aufgemachte CD, die manchmal etwas durchwachsen, aber nie schlecht ist - und vor allem wesentlich abwechslungsreicher als die meisten Deutschpunk-Scheiben. Hoffen wir, dass Elfenarts Einstieg in semiprofessionelle Gefilde denn auch den Erfolg hat, den man dem Album zutrauen kann. Schließlich kann sich auch jeder Ärzte-Fan hieran erfreuen... (ist ausnahmsweise nicht als Mainstream-Schelte gemeint!)

gebrauchtemusik

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