Lautsprecher-zu-Ohr-Beatmung
Beef Terminal: 20 GOTO 10 (NOISECD551)
k.c.accidental: anthems for the could've bin pills (NOISECD325)
Beides CD, Noise Factory Records 2000, Vertrieb D: Hausmusik, A: Trost, CH: Namskeio

Wenn alle Veröffentlichungen von Noise Factory Records im kanadischen Toronto so gut sind wie diese beiden Alben, dann ist das Label eine echte Entdeckung. Offenbar erscheint dort v.a. im weitesten Sinne Postrock-artige Musik von lokalen Projekten, was dafür spricht, dass sich hier wieder einmal eine neue interessante Szene auf der musikalischen Landkarte einzeichen könnte.

Kevin Drew und Charles Spearin machen als k.c.accidental mit zahllosen Instrumenten (darunter auch erstaunlich viele akustische: Gitarre, Violine, Akkordeon, Trompete, Posaune und Banjo!) zusammen mit zahlreichen Gästen "who joined in the living rooms and played on the album" warme, schwebende Musik, die sich anhört wie der Moment, wenn man, aus einem eiskalten Regen kommend, endlich in ein heißes Bad steigt; wie der Moment, wenn nach einem endlos frustrierenden und ermüdenden Tag endlich der Schlaf kommt - wie dieser Moment also, auf 10 Minuten ausgedehnt und hörbar gemacht.
Das als Ambient-Postrock zu bezeichnen, wäre sicherlich nicht falsch, wenn auch wenig aussagekräftig. Andere Stücke, v.a. them (pop song #3333), mein Lieblingsstück auf diesem Album, gehen über diese Kategorisierung aber weit hinaus, indem sie die hypnotische Rhythmik eines Technotracks (der mit Akustikschlagzeug und Gitarrennoise gewissermaßen in eine andere Sprache übersetzt wird) mit der warmen Textur der akustisch erzeugten Harmonien verschmelzen.
Insgesamt wirkt dieses wunderschöne Album emotionsgesättigter und weniger asketisch als viele Arbeiten der stilbildenden Postrock-Bands, und "saturation helps you breathe", wie es auf dem Cover heißt.

Schon der Titel des Albums (20 GOTO 10 ist ein denkbar simpler Basic-Programmierbefehl) macht deutlich, dass die Ästhetik der Labelmates Beef Terminal eine wesentlich kühlere ist - hier liegen Anklänge an Autechre, Die Frucht oder Wardrobe Memories nahe. Fragmente von Mobiltelefon-Gesprächen driften wie flüchtige Schatten von Kommunikation durch einsame Räume, in denen repetitive Gitarrenlinien Halt suchen an spiegelglatten digitalen Klangflächen. Eine akustische Reise durch die Nicht-Orte des modernen Lebens, wo man inmitten von Menschen stets allein ist: Flughäfen, Supermärkte, Autobahnen, Internet. "Der Raum des Nicht-Ortes schafft keine besondere Identität und keine besondere Relation, sondern Einsamkeit und Ähnlichkeit" (Marc Augé), und so klingt dieses Album zwar in seinen besten Momenten (levelhead/suffer, the crackdown und einzelne Passagen des Titelstücks, wo gute Ideen aber einfach etwas zu lang ausgebreitet werden - ein Problem, das auch andere Tracks der CD haben) faszinierend melancholisch. Die recht vordergründige Entfremdungs-Metapher der (als reines Klangmaterial nicht eben aufregenden) Telefonsamples und die trotz aller von den synthetischen Grundflächen heraufbeschworenen Kälte (oder vielleicht gerade durch den Kontrast) bisweilen ziemlich kitschig wirkenden Gitarrenfiguren lassen diese Melancholie aber letztlich ziemlich wohlfeil erscheinen. Zu sagen, dass es sich hier um die Dire Straits für avantgardistische Hörer handelt, ;-) wäre zwar stark übertrieben, aber vielleicht sollten sich Beef Terminal noch ein paar zusätzliche Klangquellen erschließen. Die Kollegen von K.C.Accidental können ihnen da bestimmt jede Menge Tipps geben.

gebrauchtemusik

[Zurück zur Übersicht]