Im Abstand von einem guten Jahr hat Matthias Wichtrup auf seinem Label Manuka Music zwei Alben veröffentlicht, die unverkennbar - auch wenn manche der eher akustisch gehaltenen Stücke vom Sound her auch an Westcoast-Songwriter und in einigen sehr wenigen Momenten an Neil Young gemahnen - der Art-Rock-Tradition verpflichtet sind. Deren Klanglandschaften sowohl instrumental wie auch stimmlich nachzubilden (manche mag der Gesang ja an Supertramp erinnern - mich erinnert er, auch was die Songstrukturen betrifft, frappierend an von Phil Collins gesungene Genesis-Stücke aus den 70ern), gelingt Matthias Wichtrup erstaunlich gut. Ob einem seine CDs My face is not my face (1999) und My loneliness (2000) gefallen, wird also wesentlich davon abhängen, ob man mit dem Genre überhaupt etwas anfangen kann.
Ich persönlich muss ehrlicher Weise sagen, dass es mir eher fern steht und ich die meisten Stücke auf den beiden CDs als zu ausufernd und bombastisch empfinde. Der Song, der mir am besten gefällt, ist Homeward journey von My face is not my face, und zwar deshalb, weil die Musik hier, so wie ich das Stück höre, eine - vom Künstler wahrscheinlich nicht beabsichtigte - Distanz zu den Konventionen herstellt, denen sie so stark verhaftet ist: der Synthesizer ist auf dem Track so weit nach vorn gemischt, dass er aus dem sonst sehr glatten, homogenen Mix herauszutreten scheint, gleichsam so sehr darum bemüht, seine Virtuosität zu demonstrieren, dass er sich selbst der Ironie preisgibt. Das erinnert dann schon eher an den bewusst artifiziellen Umgang mit "antiken" Synthesizern (wie ihn z.B. japanische Musiker wie Cornelius pflegen) als an eine Ausdruckskunst von besonderer Authentizität (ein Begriff, der im Pressetext immer wieder beschworen wird - leider, denn dieser Text versucht durch seine vielen aufgeladenen Begriffe - "intensives Erleben", "idealistisch-transzendente Weltsicht", "symbiotische Verbindung von Sinn und Sinnlichkeit" usw. - die Musik so sehr auf bestimmte 'Aussagen' festzulegen, dass er auch potenziell aufgeschlossenen Hörern nicht viel Freiraum zu lassen scheint.
Ganz anders ist das bei Matthias Wichtrups neuestem Projekt Manuka Dream Edition. Unter diesem Titel hat der Münsteraner bereits eine Serie von CDs mit den Titeln Silent wings, Soft breeze und Silver beam vorgelegt, deren je 20 Minuten lange Tracks sich im CD-Player zu virtuell endlosen Klangteppichen verknüpfen lassen. Wie Brian Enos Music for Airports bieten sich diese im Vergleich zu Wichtrups anderen Kompositionen nachgerade eklatant minimalistischen Ambient-Tracks explizit als Gebrauchsmusik an, "als Meditations-, Entspannungs-, Hintergrunds- und Trancemusik für den privaten und professionellen Bereich."
Abgesehen davon, dass ich mir lieber nicht vorstellen will, was wohl der Zweck von "Trancemusik im professionellen Bereich" sein mag (ich weiß schon, warum ich im Büro keinen CD-Player habe - da könnte mein Chef ja sonstwas reinschmuggeln, um mich dann unter Hypnose zu unbezahlten Überstunden zu veranlassen ;-)), löst die Musik das Versprechen auf Entspannung sicherlich ein. Damit steht sie nicht nur formal, sondern auch von ihrer Programmatik her in scharfem Kontrast zu der in Wichtrups anderen Arbeiten angestrebten "Intensität".
Es wird interessant sein zu sehen, ob der Musiker Matthias Wichtrup hier nun einen endgültigen Stilwechsel vollzogen hat oder ob er nur mal ein anderes Idiom erproben wollte. Interessant deshalb, weil seine Hinwendung zu ambienten Hintergrundklängen Symptom einer weit verbreiteten Zeitströmung ist, deren Ursache noch zu klären wäre - zumal die immer zahlreicheren Musiker, die ganz ähnliche Musik machen wie die Manuka Dream Edition, ja aus den verschiedensten musikalischen Kontexten kommen: Wagner-infizierte Black-Metal-Satanisten finden sich da ebenso wie ethno-esoterische Musiktherapeuten, Musique-concrète-geschulte FH-Dozenten für Soundscape-Design ebenso wie Indierock-sozialisierte Technoproduzenten. Wenn dies also das Zeitalter der sich bewusst als solche verstehenden Hintergrundmusik ist, so ist Matthias Wichtrup mit der Manuka Dream Edition ganz nahe am Puls der Zeit. Mehr jedenfalls als mit seinen ersten beiden Alben, obwohl man selbstverständlich auch die - wie jede andere CD - im Hintergrund hören kann.