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Hinterlandt: Bo Cheng Hu (CD, C.U.E. Records qcd-0020, 2003)
Tenzenmen Presents: Eccentrics, issue #1 (CD, Tenzenmen 001TZM, 2003)

Von Hinterlandt hörte ich zum ersten Mal durch sein Album Poprekordt auf Dhyana Records, das mich schon durch die unglaubliche Ausdauer beeindruckte, mit der Jochen Gutsch Ambient und opulentesten Pop verband und in seinen alle poptypischen Formate sprengenden, in der Regel viertel- bis halbstündigen Kompositionen weder den Umgang mit leicht als kitschig abqualifizierbaren, romantischen Pianoparts noch mit abstrakter Geräuschhaftigkeit scheute - und dabei immer zu überzeugenden Ergebnissen kam.

In der 2003 in Japan erschienenen Komposition Bo Cheng Hu arbeitet er diesen Ansatz in der bisher wohl am weitesten gehenden Form aus - zwischen chopinscher Schwelgerei, elektroakustischen Knisterräumen und Harsh Noise bester japanischer Schule ist hier alles geboten, und zwar miteinander verwoben zu einem spannenden Wechselspiel, das einem nicht die Möglichkeit lässt, sich nur die leicht konsumierbaren (oder, wahlweise, nur die "experimentellen") Passagen herauszupicken. Ein sehr gelungenes Album, dessen formale Kontraste sich der Widersprüchlichkeit der Wirklichkeit annähern, statt sie zu kaschieren.

Hinterlandts nahezu zeitgleich in Australien erschienene Kranlieder sind im Gegensatz zu Bo Cheng Hu, nicht nur durch den Gesang, richtige Pop- bzw. Rocksongs, wobei Hinterlandt nicht Hinterlandt wäre, wenn nicht auch in diesem Bezugssystem ein extrem diverses Repertoire an Genrestilen verbraten würde. Die Kontrastierung von Elektronik und schweren Metal-Gitarren hat hier durchaus bisweilen einen parodistischen Touch, fast scheint es manchmal, als wäre es Jochen Gutsch anders gar nicht mehr möglich, seine vielen Ideen alle in den Songs unterzubringen. Denn die Virtuosität, mit der er eine derartig große Vielzahl von Genres beherrscht, ist wirklich enorm.

Durch ihren wechselweise an Drum'n'Bass oder Grindcore andockenden hard rocking Sound fügen sich die drei Kranlieder in den Kontext ihres Erscheinens ein: Das Album Eccentrics, issue #1 (Folge 2 und 3 sind bereits in Vorbereitung) des australischen Labels Tenzenmen bietet, anders als andere Compilations, nur drei Projekten/Bands eine Plattform - aber diese drei können sich dafür gleich mit mehreren Stücken in mehr als EP-Länge vorstellen. Ein sehr kluges Konzept, das die ökonomischen Vorteile eines Split-Albums potenziert und mit den Möglichkeiten eines klaren Labelprofils verbindet. Auf Eccentrics #1 ist der gemeinsame Nenner wohl die fiebrige Intensität, die Spannung zwischen rasendem Tempo und meditativer Versenkung, mit der Rock- und Hardcore-Strukturen hier durch Kaputtspielen und anschließendes improvisiertes neu Aufbauen kreativ transformiert werden.

Und die Veröffentlichungspolitik von Tenzenmen hat übrigens noch einen anderen Vorteil, nämlich den, geografische Schranken zu überwinden: Die sieben Stücke der von John Zorn gepriesenen italienischen Freejazzer Zu (The Way Of The Animal Powers) und die 13 Ausbrüche der von ferne mit Flipper verglichenen finnischen Can Can Heads (Here Gathers Nameless Prophecy) werden nun außer in Australien wohl auch bei Hinterlandt-Gigs in Kön erhätlich sein. Umgekehrt erfährt man vielleicht auch im italienischen Untergrund und im finnischen Hinterland von Hinterlandt. Das wäre doch eine Art von Globalisierung, die Spaß, macht.

gebrauchtemusik

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