File under: Arbeiterkampflieder für Microsklaven.
Auf einem Computer die Geräusche mechanischer Maschinen für musikalische Zwecke zu simulieren und zu verarbeiten, scheint anachronistisch. Zeitgemäß dagegen ist es, das virtuell unendliche Potenzial von Klängen musikalisch zu nutzen, die überhaupt nur die sich ständig weiterentwickelnde digitale Technologie hervorbringen kann.
Wenn das stimmt, ist die Hertz-Schmertz Compilation aus dem Hause Neuf Noir, diesmal nicht als CD, sondern als Analog-Kassette erschienen, in einem guten Sinn unzeitgemäß: Industrialmusik in einer Welt, die viele ja gern als postindustriell bezeichnen und dies dann als großen sozialen Fortschritt hinstellen: statt an entfremdenden Fließbändern arbeiten wir jetzt alle an Computern und haben Spaß bei der Arbeit.
In Wirklichkeit wird natürlich immer noch das allermeiste an Fließbändern produziert (Computer z.B.), und dass man am Computer sitzt - was nervig genug sein kann - , macht die Abhängigkeit von der Erwerbsarbeit auch nicht besser. Die bedrohlichen, schleifenden, zermalmenden Geräusche, die erbarmungslosen, monotonen Rhythmen der Stücke auf diesem Sampler erinnern an diese Tatsache - nicht umsonst heißen die kurzen Zwischenspiele zwischen einzelnen Stücken Fabrik I-VI. Indem sie die digitalen Klangbearbeitungstechniken nutzen, um die Entropie der analogen Industriegeräusche zu befördern, halten sie den Blick auf ein vielleicht utopisches, aber deshalb nicht weniger erstrebenswertes Ziel fokussiert: die Zerstörung des Zwangs zur Arbeit. In die werkbank tobt von Bernd Spring feat. Terence Carr, wo die gesampelten Arbeitsgeräusche des Holzbildhauers Carr durch ihr Arrangement zu musikalischen Strukturen werden, ist gewissermaßen die Versöhnung von Arbeit und Lustprinzip idealtypisch gestaltet.