Hildegard Knef
Die Schamanin des spezifisch Menschlichen
"Mit sechzehn sagte ich still: ich will, / will groß sein, will siegen, / will froh sein, nie lügen, / Mit sechzehn sagte ich still: ich will / will alles - oder nichts..." Für ihre Aufmüpfigkeit wollte sie mit einem Regen aus Roten Rosen belohnt werden. (Das muß man sich mal bildlich vorstellen!) Seitdem sind Rote Rosen auch für materialistische Hedonisten akzeptabel, und die Deutschrockgruppe Extrabreit konnte den Song covern, ohne den Inhalt (die Botschaft) ideell zu entstellen, selten genug. Hilde Knef produzierte interkulturell gültige Ideen, die weder Big-Bands noch Punkrock ruinierten. Als Künstlerin gelang ihr die ungeheure Gradwanderung zwischen Authenzität und Popularität. Sie entfaltete ihr Ich in diversen Disziplinen: sie spielte in Broadway-Musicals, drehte Filme in verschiedenen Ländern, schrieb ihre Texte selbst, sang und verfaßte Romane und Biographien.
Sie kokettierte mit dem Unglück ("Von nun an gehts bergab"), was zu einem ihrer Markenzeichen wurde, bis es in der Boulevardpresse fast zur Karikatur wurde: Sie müsse aufgrund hoher Krankenhausrechnungen wegen einer Krebsoperation lebenslang durch drittklassige Kneipen tingeln, schrieb die BILD-Zeitung einmal über sie - zu ihrem 70sten Geburtstag, wohlgemerkt: das ist der Hilde Knef-Mythos, jedem Schicksalsschlag zu trotzen! Doch nicht einmal der BILD-Zeitung gelang es, ihr Image restlos verzerrt durch den Kakao zu ziehen. Auf der anderen Seite war da ihr aufrechter Gang. Ihre Kämpfernatur blieb stets menschlich, wie ihr Stil, vollkommen, aber mit Fugen und Kanten. Sie ist eine Shamanin des Menschlichen. So fehlbar wir Menschen eben sind, und darum tausendmal überzeugender als alle HeldInnen, weder Heldin noch Antiheldin, auch diese Gradwanderung gelang ihr wunderbar. Zwar war ihr Leben lange nicht so tragisch wie das der Romy Schneider, doch ließ auch sie kaum Höhen und Tiefen aus: nicht souverän, aber zäh; nicht abgeklärt, doch wußte sie sich stets zu helfen. Als Pop-Shamanin verstand sie die Konflikte der Schneider von innen, und sie schrieb die wohl beste und fesselnste Schneiderbiographie. Ja, als Schriftstellerin war sie so exzellent wie als Sängerin, und als erste Nackte in einem deutschen Film so provokant wie als erste gealterte Dame mit Facelifting-Schönheitsoperation aus öffentlich eingestandener Eitelkeit.
Während es sich der berühmte Psychoanalytiker Helm Stierlin erlaubte, von einem "logischen" Tod der Romy Schneider zu sprechen, sie hätte sich mehr schonen müssen, dann wäre sie nicht so früh gestorben, konterte sie: Dem kann ich nur entgegenhalten, daß ein Premierenabend sowie jeder folgende absoluten Einsatz fordert, ansonsten würde selbst der Psychologe sein Eintrittsgeld zurückverlangen. [1] Stierlin argumentierte von der Warte einer vermeintlich abgeklärten Psychotechnischen Umsicht heraus, Romy sei außerstande gewesen, "Trauerarbeit zu leisten". Die Knef verteidigte ihr Künstlerrecht auf Selbstverschwendung, Irrationalität und - naja: menschliches Leid! Da mir bisher die Assoziation von Trauer und Arbeit nicht bekannt, stehe ich vor einem außerordentlich befremdenden Psychiater-Chinesisch. [2]
Die Wirklichkeit der Romy Schneiderschen Trauer, im Unterschied zum absurd-technischen Begriff "Trauerarbeit" entfaltete sie in ihrem Buch: Es bleibt gleichgültig, ob eine Trennung mit Hilfe der örtlichen Betäubung eines Rosenstraußes plus langatmigem Brief, mit narkotisierenden Worten eines Freundes oder mit wortkargem Zettel vollzogen wird: der erbärmliche Augenblick des satanischen Begreifens und Erwachens ist nicht aufzuhalten. Trennung gleicht einem Mord, der keine Leiche hinterläßt, und obgleich sie seit Jahrtausenden durch die Literatur geistert, bleibt sie, sobald man von ihr betroffen, von jener unbegreiflichen Einmaligkeit, der erhabene Vergleiche beizukommen nicht imstande sind. Von jenem Augenblick an wird jedes Glas Wein, jede Zigarettenschachtel, Zahnpasta, Rasierwasser, jedes Kleid, das er gemocht oder nicht gemocht, jedes Gesicht, jede Stadt, jeder Flughafen zum obszön-wollüstigen Trugbild. Die Erwähnung seines Namens bereitet körperlichen Schmerz, und Haßtiraden helfen ebenso wenig wie der magere Versuch, tolerant zu sein. Das Telefon wird nicht mehr läuten, und der Verstoß hinterläßt jene jammervolle Einsamkeit, die dich einzusargen droht. Du glaubst, nie mehr im Leben unbeschwert lachen zu können, und allzu deutlich weißt du, daß deine Verzweifelung lächerlich erscheint. Plötzlich läßt sich die Zeit sehr viel Zeit. [3] Die poetische Kraft ihrer Sprache, mit der sie die schwierigen Gefühle aufschließt, ja fast beschwört, für die der Begriff "Trauerarbeit" leider nicht imstande, mag die Länge des gewählten Zitats rechtfertigen. Und es zeigt noch etwas: Hildegard Knef als eine Pop-Schamanin der spezifisch menschlichen Gefühle, die sie verteidigt, tief nachvollzieht und verkörpert, in ihrer Kunst und in ihrem Leben. Sie leben sogar noch in dem Bild, daß sich die Massenmedien von ihr machen.
Thomas Nöske
Aus dem Buch Pop-Schamanismus von Thomas Nöske & HEL (ISBN 3-932325-99-0). Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Edition Minotaurus im Klaus Bielefeld Verlag.